Das Interview
Vallendar. Am Samstag, den 20. Oktober 2018, wird in der Pilgerkirche in Vallendar „Gefährlich. Franz Reinisch. Musical über einen Aufrechten“ aufgeführt. Thematisiert wird die Geschichte des Pallottinerpaters Reinisch, der 1942 als einziger katholischer Priester den Fahneneid auf Hitler verweigerte und dafür in Brandenburg-Görden hingerichtet wurde.
Der Viernheimer Wilfried Röhrig ist Autor und Komponist des Musicals, das in wenigen Wochen zum dritten Mal auf die Bühne gebracht wird. Sein ungewöhnliches Projekt hat bereits in Bad Kissingen und Bamberg das Publikum begeistert.
P. Franz Reinisch, dessen Seligsprechungsprozess seit 2013 im Bistum Trier läuft, liegt in Vallendar-Schönstatt begraben. Nun wird in der Nähes seines Grabes neben der Gnadenkapelle seine Geschichte wieder zum Leben erweckt.
Wilfried Röhrig - Foto: privat
Herr Röhrig, wie sind das Dritte Reich, Todesurteile und Hinrichtungen mit dem Konzept eines Musicals zu vereinbaren?
Bei dem Stichwort “Musical” denken die meisten an farbenfrohe, spannende Unterhaltung mit flotter Musik, Schaupiel und Tanz. Doch Musical-Klassiker wie “Hair”, “Jesus Christ Superstar” oder “Westside Story” zeigen, dass es auch ernste Themen gibt. Um es grundsätzlich zu sagen: Auch bei der Form “Musical” sollte das ganze Leben auf die Bühne kommen können, Höhen und Tiefen, Freude und Begeisterung, Sehnsucht und Liebe, Fragen und Ängste, Grenzerfahrungen, Scheitern und Tod. Auch “dunkle Zeiten” der Geschichte wie das sog. “Dritte Reich” haben da Platz. Diese werden ja nicht einfach wissenschaftlich sachlich referiert, sondern sie werden in Liedern, Musik und Tanz in Beziehung gesetzt zu unserer Welt, zu unserer Zeit und ihren Herausforderungen, z.B. den populistischen und nationalistischen Tendenzen. Und dann ist ja immer noch die Frage, was im Einzelnen thematisiert wird und wie das Ganze “verpackt” wird. Ich muss ja auf der Bühne keine Hinrichtung inszenieren.
Was hat Sie an der Geschichte des Pallottiners Franz Reinisch so gefesselt, dass Sie sich an ein solches Großprojekt herangetraut haben?
Franz Reinisch war kein “frommer Überflieger”, kein “Superheiliger”, sondern ein Mensch wie Sie und ich, mit Ecken und Kanten, mit Zielen und Erwartungen, aber auch mit Schwächen und Grenzen. Je tiefer ich mich auf seine Lebensgeschichte eingelassen habe, um so mehr ist mir aufgegangen, dass vieles mit mir, mit uns zu tun hat, mit unserem Leben und unserer Welt heute: Wie steht es mit meinem “aufrechten Gang”? Wie konsequent gehe ich meinen Weg? Wo stehe ich zu meinen Überzeugungen? Wo nenne ich Dinge beim Namen? Berufung – was geht da innerlich vor? Gibt es so etwas auch heute und wie sieht es da bei mir aus? Woraus schöpfe ich meine Kraft, meinen Weg zu gehen? Wie sensibel bin ich für meine innere Stimme, meine Seelenstimme? Welche Rolle spielt mein Gewissen? Wie steht es mit Freiheit und Selbstbestimmung? Was hat Glaube mit Politik und gesellschaftlichen Entwicklungen zu tun? Kann es so etwas geben wie Gehorsam der weltlichen und kirchlichen Obrigkeit gegenüber? Was bedeutet “Nachfolge Jesu”? Was ist mein, was ist unser Auftrag hier und heute? Also: es geht in dem Musical um Franz Reinisch, aber es geht genauso um mich, um uns.
Wie erzählen Sie die Geschichte eines Priesters, der sich mit dem Nazi-Regime anlegt und das mit dem Leben bezahlt, auf einer Musical-Bühne?
Bei der Frage, wie ich die “Reinisch-Story” ansprechend auf die Bühne bringe, habe ich nach einer passenden und spannenden Rahmenhandlung gesucht – und gefunden: Nach dem Krieg kam nämlich Ostern 1946 die Urne mit der Asche Franz Reinischs von Berlin nach Schönstatt. Der Pallottinerpater Josef Schwan war sozusagen in “besonderer Mission” unterwegs. In seinem Rucksack wollte der die Urne über die Interzonengrenze in den Westen bringen. Bei seiner Reise traf er in Magdeburg einen Jugendlichen, der sich nach Hamburg durchschlagen wollte. Damit auf der Bühne nicht nur Männer agieren, habe ich im Musical ein junges Paar daraus gemacht. Die beiden jungen Erwachsenen und Pater Schwan kommen miteinander ins Gespräch und schon bald geht es um die “gefährliche Fracht” des Paters. Was hat es damit auf sich? Während der abenteuerlichen Reise im Zug und auf nächtlicher Straße enthüllt sich in Rückblenden, Stück für Stück, die spannende Lebensgeschichte dieses Franz Reinisch: seine turbulente Jugendzeit in Innsbruck, die Suche nach seiner Berufung, die Priesterweihe, der Eintritt bei den Pallottinern, die Begegnung mit Schönstatt, sein Protest gegen die Naziherrschaft und das Mitläufertum, der sich zuspitzende Konflikt mit der Obrigkeit bis zu seiner Lebenshingabe.
Um diese Geschichte auf den beiden Ebenen zu erzählen, brauchen Sie ja jede Menge Personen, die die einzelnen Rollen verkörpern. Gesang und Tanz darf ja auch nicht fehlen. Wie ist das mit den Vorbereitungen des Musicals gelaufen? Wie sind sie zu den über dreißig Leuten der Musical-Crew gekommen?
Sehr wichtig und wertvoll war, dass ich auf einen Stamm von Leuten vom Hochseil-Musical zurückgreifen konnte: Hans-Werner Scharnowski (Musikproduktion), Gregor Botzet (Chor), Amin Jan Sayed und Carolin Ankenbauer (Sologesang), Jutta Diehl (Maske) z.B.. Bgzl. Schauspiel waren relativ schnell die meisten Rollen besetzt wie z.B. Marc Bludau als Vorsitzender des Reichskriegsgerichts, Klaus Glas als Gefängnispfarrer, Istvan Bechtold und Clemens Kadura als Pallottinerpater oder Johannes Bechtold als Jugendlicher. Während die Besetzung der Rollen von Pater Schwan durch Frank Breitenbach und der Jugendlichen durch Franziska Lauer “einfach” von statten ging und auch der Chor ohne große Probleme besetzt werden konnte, gab es einige wenige, aber dicke Knackpunkte: Wer spielt die Hauptrolle, also Franz Reinisch? Wer macht in der Tanzgruppe mit und wer entwickelt die Choreographien dazu? Weihnachten 2017 stand ich z.B. aufgrund von Absagen aus gesundheitichen Gründen ohne Leitung der Tanzgruppe da. Der “Himmel” (inkl. Franz Reinisch) schickte dann irgendwann die richtigen Personen vorbei: Mathias Gall, ein musikalischer und schulmäßiger Kollege, erwies sich als Idealbesetzung der Reinisch-Rolle. Und Loreen Fajgl, die mir vorher gänzlich unbekannt war, war bzgl. Tanz ein Glücksgriff, ebenso wie die ganz neue und junge Tanzgruppe.
Das Musical wurde in Bad Kissingen im April uraufgeführt, Mitte Juni dann die zweite Vorstellung in Bamberg. Immer vor vollem Haus. Wie waren die Reaktionen des Publikums? Haben Sie einen Nerv getroffen?
Als Autor, Komponist und Regisseur eines Stückes ist das ja eine sehr spannende Frage: Wie kommt das Stück an? Erreicht es die Herzen der Besucherinnen und Besucher? Die Reaktionen in Bad Kissingen und Bamberg waren überwältigend! Ich selbst habe die Aufführungen aus der ersten Reihe – im wahrsten Sinn des Wortes – wirklich genossen. Vor allem die innere Begeisterung, das “Herzblut”, mit dem das Ensemble auf der Bühne agierte, haben mich gepackt. Die Menschen haben ein feines Gespür, ob da lediglich etwas “perfekt gespielt” wird oder ob das auch alles echt und authentisch ist. Und in diesem Punkt bin ich richtig stolz auf “meine Leute”!
Interview: Angela Marlier
Zur Person
Wilfried Röhrig, geb. 1955, ist Texter, Komponist und Musiker aus Viernheim. Er ist verheiratet und Vater von fünf Kindern. An der Albertus-Magnus-Schule in Viernheim unterrichtete er als Lehrer katholische Religion und Sport.
Röhrig kirchliches Engagement umfasst unter anderem das Projekt „Spurensuche“, die Familienarbeit sowie den Arbeitskreis „Kontrapunkt. Neue Geistliche Musik“ der Diözese Mainz.
In seinem Musikverlag (www.rigma.de und www.rigma-shop.de) hat er als Texter und Komponist zahlreiche christliche Popsongs, Singspiele und Musicals veröffentlicht.