Abschied

Es ist alles entschieden - und doch ist das Warten auf den Tod für Franz Reinisch zermürbend. Zweifel kommen auf, Gedanken des Selbstmords, dem schnellen Entfliehen aus der aussichtslosen Situation, dem Nachgeben bedrücken den 39-jährigen in seiner Gefängniszelle.  

 

Den ganzen Mai über, erst am 21. Juli hat er es in seinem Gefängnistagebuch gestanden, hatte ihn ein verführerischer Gedanke umgetrieben:  „Zwinge durch einen fingierten Überfall einen Beamten zum Schießen. Dann ist alles überstanden.“ Eineinhalb Monate lang die Angst, das endlose Warten nicht auszuhalten. „Dann kam der gute Hirte zu mir. Es geht.“


Immer besser gelingt es dem Priester, seine Haftzeit als Lernprozess zu erleben, die Angst in Gelassenheit, den Trotz in ruhige Stärke, die Einsamkeit in Liebe zu verwandeln. Der Abbruch aller irdischen Brücken habe ihm eine „Losgeschältheit vom eigenen Ich“ geschenkt und die Furcht besiegt, notiert er. „Und so reifte die Liebe immer mehr zur Kraft aus.“

Aus den Tagebüchern

„Heiland, es will Abend werden, denn der Tag hat sich geneigt!“


„Mein Lebensgang geht zu Ende. So willst Du den letzten Abschnitt meines Ringens mit mir gemeinsam vollbringen.“


„Das Reichskriegsgericht ist nur der Ort, wo ich den strengen Richter erlebe. Das bald darauf folgende Reichsgottesgericht, so hoffe und vertraue ich, lässt mich die unendliche Liebe Gottes erleben.“


„Zusammenbruch im eigenen Leben, Einbruch der Gnadenströme Gottes in meine Seele, Aufbruch als Ergebnis und Frucht: der neue Mensch.“


„Unverhofft und doch nicht überraschend erreichte mich die Botschaft der MTA [Mater ter admirabilis]: Es gilt! Stellungsbefehl für das mar[ianische] Christkönigreich.“


„Tag und Nacht im Beisein des guten Hirten den Kampf zu Ende zu führen, löst nicht nur Sicherheit und Ruhe, sondern Freude und Seligkeit aus.“


„Liebe MTA, lass mich bitte, bitte nicht mehr zurückkehren ins Leben.“


„Unendliche Liebe, lass mich Dich wiederlieben. (...) Lass mich nur mehr um Dich kreisen (...). Mehr Liebe! Liebe! Liebe!!! Amen.“

 

Tagebuchaufzeichnungen im Gefängnis,
Berlin-Tegel, Juli 1942

„Mein Lebensopfer soll ein Hohelied werden auf die Würde des Menschen: innere Freiheit, ausreifend bis zur Freiheit der Kinder Gottes!

Wert des Menschen: Gotteskind, nicht bloß Kind des Blutes.
Unsterblichkeit der Seele.

(...) Die Gnadenwelt, die mich trägt und stärkt.

(...) Glaube an den Sinn und Wert des Leidens und des Lebensopfers als Ergänzung zum Kreuzesopfer Jesu Christi.

(...) Sieghafte Entscheidung für Christus und sieghafte Heimkehr zum Vater und sieghaftes Verlorensein im Heiligen Geiste.

Glaube an die baldige Blütezeit der Kirche, die vom [Schönstätter] Kapellchen aus aufbrechen muss.“

 

Gefängnistagebuch, 5. Juli 1942

Abschiedsgebet!

 

Gewidmet der Schönstattweltmission!

 

Göttlicher Heiland, Herr und Meister, Hoherpriester und Weltenkönig. Du Sohn und Bräutigam Mariens! Laß mich Deine Worte auf meine Lippen nehmen und sie an Dich richten:

 

1. Göttlicher Heiland, die Stunde des marianischen Zeitalters ist gekommen: verherrliche Deine Braut und Mutter, damit die Braut und Mutter Dich verherrliche. Du hast kraft der mystischen Zweieinheit, das heißt, kraft der gegenseitigen, vollkommenen, absoluten und ewig dauernden Bestimmung (praedestinatio) ihr Macht über alles Fleisch gegeben, damit sie allem, was Du ihr anvertraut hast, ewiges Leben verleihe. Das aber ist das ewige Leben: den einen wahren Gott: Vater, Sohn und Hl. Geist erkennen und lieben und Maria, die Königin des Weltalls. Sie hat Dir auf Erden gedient im empfangenden Hingegebensein, sie hat somit Dir geholfen, Dein Werk zu vollbringen, das Dir vom Vater aufgetragen war. Heiland, verherrliche nun Deine Braut und Mutter mit der Herrlichkeit, die sie bei Dir schon hatte, ehe die Welt war.

 

2. Göttlicher Heiland, offenbare ihren Namen den Menschen, die Du ihr von der Welt gegeben hast. Ihr gehören sie, Du hast sie ihr anvertraut, und sie werden Dein Wort über Deine Braut und Mutter bewahren. Sie wissen auch, daß alles, was Du, o Heiland, Deiner Braut und Mutter gegeben, von Dir ist, daß alle Marienherrlichkeit von Deiner Herrlichkeit stammt.

 

Maria, die dreimal wunderbare Mutter und Königin des Weltalls, möge für uns bitten, nicht für die Welt, sondern für uns, die Du, o Heiland, ihr gegeben hast, denn wir gehören Dir und Deiner Mutter. All das Deinige gehört ja auch Deiner Mutter, und all das Ihrige gehört Dir, und so ist Maria in uns verherrlicht. Maria ist nicht mehr in der Welt - wir aber sind noch in der Welt. Denn sie ist bei Dir, o Herr.

 

Göttlicher Heiland, erhalte uns in Deinem Namen, den Du ihr zu künden anvertraut hast, daß wir in geheimnisvoller Weise auch eins seien, wie Du, o Jesus, und Maria eins seid. Maria ist nun bei Dir, o Heiland, möge Sie uns Deinen Namen künden, damit ihre Freude uns in der Welt vollkommen zuteil werde. Möge Maria uns Dein Wort künden, obleich die Welt uns haßt, weil wir nicht von der Welt sind, wie auch Maria nicht von der Welt ist. Maria möge nicht bitten, daß Du, o Heiland, uns von der Welt hinwegnehmest, sondern daß Du uns vor dem Bösen bewahrest. Wir sind ja nicht von der Welt, wie Maria nicht von der Welt ist. Weihe uns, o Jesus, in der Wahrheit: Dein Wort ist Wahrheit. Wie Du, o Jesus, zugleich mit Maria vom Vatergott in die Welt gesandt worden seid, so sind wir auch von Euch in die Welt gesandt. Für uns habt Ihr, o Jesus und Maria, Euch geheiligt, damit auch wir in Wahrheit geheiligt seien.

 

3. Göttlicher Heiland, es möge Maria doch nicht allein für uns flehen, sondern auch für jene, die durch unser Wort an Dich und Maria glauben, damit sie alle eins seien, wie Du, o Jesus, in Maria und Maria in Dir ist; so sollen auch sie in Euch sein, damit die Welt glaube, daß Du, o Jesus, Deine Braut und Mutter jetzt als Gnadenmittlerin sendest. Möge sie uns die Herrlichkeit der Kindschaft Gottes erflehen, die Du, o Jesus, in einzigartiger Weise Deiner Braut und Mutter gegeben hast, damit sie eins seien, wie Ihr, Jesus und Maria, eins seid. Möge Maria kraft der Liebe in ihnen sein, wie Du, o Jesus, in ihr bist, auf daß sie vollkommen eins seien. So möge die Welt erkennen, daß Du, o Jesus, Maria jetzt sendest und die Seelen liebst, wie Du Maria geliebt hast. Heiland, laß jene, die Du Deiner Braut und Mutter gegeben hast, bei ihr sein an dem Orte, wo sie ist, damit die Seelen die Herrlichkeit sehen, die Du, o Jesus, Deiner Braut und Mutter verliehen hast. Denn Du liebtest sie, noch ehe die Welt ward.

 

Göttlicher Heiland, die Welt hat Dich nicht erkannt: Maria aber hat Dich erkannt, und wir haben erkannt, daß Du Maria jetzt als Gnadenvermittlerin sendest. Maria hat Deinen Namen bereits kundgetan und wird ihn ferner noch weit mehr kundtun, damit die Liebe, mit der Du Maria liebst, in uns sei und Maria in uns!

 

Dann werden wir alle in Dir, o Jesus, durch und mit Maria in das große Liebesmeer des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes eingetaucht, das unsere Seligkeit sei in Ewigkeit. Amen.

 

Gefängnistagebuch, 2. Juli 1942


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