Andacht am 19. August 2018
"Abschied"
Es ist alles entschieden - und doch ist das Warten auf den Tod für Franz Reinisch zermürbend. Zweifel kommen auf, Gedanken des Selbstmords, dem schnellen Entfliehen aus der aussichtslosen Situation, dem Nachgeben bedrücken den 39-jährigen in seiner Gefängniszelle.
Den ganzen Mai über, erst am 21. Juli hat er es in seinem Gefängnistagebuch gestanden, hatte ihn ein verführerischer Gedanke umgetrieben: „Zwinge durch einen fingierten Überfall einen Beamten zum Schießen. Dann ist alles überstanden.“ Eineinhalb Monate lang die Angst, das endlose Warten nicht auszuhalten. „Dann kam der gute Hirte zu mir. Es geht.“
Immer besser gelingt es dem Priester, seine Haftzeit als Lernprozess zu erleben, die Angst in Gelassenheit, den Trotz in ruhige Stärke, die Einsamkeit in Liebe zu
verwandeln. Der Abbruch aller irdischen Brücken habe ihm eine „Losgeschältheit vom eigenen Ich“ geschenkt und die Furcht besiegt, notiert er. „Und so reifte die Liebe immer mehr zur Kraft
aus.“
Er schreibt am 4. Juli 1942 in sein Tagebuch:
Während meiner Gefängniszeit jedoch erlebte ich nun diese weise Führung und Fügung der MTA. Hätte ich den Gnadenort nicht gehabt, wäre ich diesen Weg entweder nie gegangen oder ich wäre sicher abgebogen oder verzweifelt. Eine ganz gewaltige und harte Schule, Leidensschule ist es, in die mich die MTA nun geführt. Aber auch nur eine solche Schule konnte noch auf meinen Charakter Einfluß gewinnen. So will ich nur von Herzen danken dafür. Ich versetzte mich fast dauernd ins Kapellchen: feierte geistigerweise das heilige Opfer, verrichtete dort meine Gebete: Betrachtungen, Geistliche Lesung, Tischgebete, Besuchung, Rosenkranz. Ja, ich wurde jetzt erst recht Pallottiner. Ich lernte schätzen, was die Gesellschaft unseres ehrwürdigen Stifters Vinzenz Pallotti für mich bedeutet. Der Glaube an seine Verheißung "haec societas..." (haec societas erit benedicta - diese Gesellschaft wird gesegnet sein) verließ mich nie. (…)
Mit dem dauernden Bewußtsein: alle irdischen Brücken sind abgebrochen, es bleibt nur mehr der Tod; dazu die Beraubung der äußeren Freiheit und der Ehre, die entsprechende Behandlung usw. Alles hat nur einen Sinn: die Liebe zu Gott zu suchen, zu finden und zu üben, zu leben. Denn Gott und Göttliches, Christus, MTA, Heilige, Arme Seelen wurden die Hoffnungsanker. Allmählich wurde das Wort lebendig: "Alles aus Liebe, nichts aus Zwang"
Diese Grundlage ward nun der Ausgangspunkt, meinen einmal eingeschlagenen Weg erst richtig zu verstehen. Es war noch ein weites Stück Weges zurückzulegen, bis ich sah, wohin der Weg letztlich führt. "Nie kann ich, Mutter, danken Dir genug." Endziel ist die lebensmäßige, nicht bloß erkenntnismäßige Einsatzwilligkeit, eine Blütezeit der Kirche Gottes zuerst bei mir und dann in meiner nächsten Umgebung bis zu den beiden mir gestellten Aufgabenbereichen: Männerwelt und Weltmission herbeizuführen. So reift nun lebens- und gnadenmäßig alles aus zum gewaltigen Apostolat!
Diese vollständige Losgeschältheit vom eigenen Ich, was unter großen Schmerzen errungen werden mußte, machte mich nun reif, ohne Furcht ernst zu machen mit der Inscriptio. Vollkommene Liebe verdrängt die Furcht! Denn Gott ist die Liebe und läßt sich an Großmut nicht übertreffen. Er schickt soviel Leid, als man fähig ist, im Augenblick zu meistern. Dadurch wächst der Glaube, die Geduld und der Mut, noch größere Aufgaben anzunehmen und zu erfüllen. Wenn nur Gottes und der MTA Wille in Erfüllung gehe! d.h. Herbeiführung der Blütezeit der Kirche.
Franz Reinisch, Tagebuch aus dem Gefängnis, 4. Juli 1942
Anlässlich der Andacht am 19.08.2018 vorgetragen von Gottfried Rießlegger, Innsbruck.